Mein Leben

Im Alter von 86 Jahren weiß ich nicht, wieviel Zeit mir noch bleibt, um das, was mich Jahrzehnte beschäftigt hat, zum Wohle dieser Erde weiterzugeben. Mein Wissen ist, wie das aller Menschen, begrenzt, und doch glaube ich, daß ich noch einige Denkanstöße geben kann, die den Jüngeren die Möglichkeit geben, in Richtung auf eine stabile und gerechte Welt weiterzuarbeiten - einer Welt, in der die Liebe zur gesamten Schöpfung und nicht das Geld regiert. So möchte ich einen Überblick über die wesentlichen Stationen in meinem Leben geben, die zu meinem Engagement für den Frieden und die Zukunft geführt haben und Markierungspunkte dieses Engagements geworden sind.

Schon vor einigen Jahren habe ich versucht, für mich selbst eine Erklärung zu finden, wie aus einem verbissenen Nationalisten, der den Krieg als notwendig ansah, ein Mann werden konnte, der sich später als Weltbürger fühlte und der in der Arbeit für den Frieden und für die Sicherung der Zukunft seine Lebensaufgabe sah.

Am 25. Juni 1921 in Adorf im Vogtland geboren, verlief meine Jugend in einer Zeit, die sehr von der Vergangenheit geprägt war. Der erste Weltkrieg war noch stark in der Erinnerung. Die Literatur spiegelte oft das 'Heldentum', das unsere Väter in diesen harten Jahren gezeigt hatten. In der Schule lernten wir Lieder, die wahrscheinlich aus den 'Freiheitskriegen' vom Anfang des 19. Jahrhunderts stammten. So z.B.:

"Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte.
Drum gab er Säbel, Schwert und Spieß dem Mann in seine Rechte.
Drum gab er ihm den kühnen Mut, den Zorn der freien Rede,
Daß er bestehe bis aufs Blut, bis in den Tod die Fehde."

Das muß man sich vor Augen halten, wenn man zu verstehen versucht, wie Hitler es mit seinen Leuten fertiggebracht hat, für seine Ziele eine solche Zustimmung in der Bevölkerung zu erringen. Deshalb sollten die Jüngeren zurückhaltender sein mit der Verurteilung derer, die damals mitgemacht haben. Auch heute wäre es möglich, junge Menschen zu verführen. Es gilt, aus den Fehlern zu lernen und die Konsequenzen zu ziehen, damit solche Verbrechen nicht noch einmal geschehen.

Manche Gedanken, die ich in meiner Jugend hatte, sind - vielleicht in etwas verfeinerter Form - auch heute noch für mich von Bedeutung. Ich möchte deshalb meine Entwicklung mit einer Metamorphose vergleichen. Ich will versuchen zu erklären, wie aus einer 'geistigen Raupe' der Nazizeit heute ein mehr oder weniger schöner 'philosophischer Schmetterling' geworden ist. - Wir wissen, daß bei den Schmetterlingen schon in der Raupe manches angelegt ist, ohne daß sich der Schmetterling nicht entwickeln kann. Und ich mußte wohl auch diese schwierige Zeit in meiner Jugend durchmachen, um heute der zu sein, der ich bin.

Das folgende spielte wohl damals eine besondere Rolle:
Mein Vater stammte aus einer relativ armen Familie. Er hat nur mit Hilfe von Darlehen vor dem Ersten Weltkrieg das Lehramt studieren können. Nach dem Studium war er in Adorf im Vogtland Schuldirektor und ab 1927 in Zwickau Studienrat mit den Hauptfächern: Deutsch, Geschichte, Erdkunde und Französisch. In der Inflation hätte er für weniger als ein Butterbrot seine Studienschulden loswerden können. Doch er hätte dies als Betrug angesehen, obwohl es gängige Praxis war. Erst Jahrzehnte später entdeckte ich, daß er die Beträge voll in Reichsmark zurückgezahlt hat. Dadurch waren wir zu einem bescheidenen Lebensstil gezwungen. Ich lernte das Sparen beizeiten und konnte wohl nur deshalb in der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges mein Studium durchführen.

Vor 1933 war mein Vater Mitglied der Deutschen Staatspartei, die etwa dem linken Flügel der heutigen FDP bis in die 70er Jahre entsprach. Damit war er ein Gegner Hitlers, aber - wohl mit Rücksicht auf die Familie - nicht aktiv im Widerstand. So ist zu verstehen, daß auch ich zunächst skeptisch gegenüber der 'Neuen Zeit' war. Doch, als im Frühjahr 1938 Österreich dem Deutschen Reiche angegliedert wurde, reifte in mir die Auffassung, daß Hitler das beste für Deutschland wolle und es auch erreichen würde. Das war in dem Alter, in dem Jugendliche beginnen, sich vom Elternhaus zu lösen und oft in Opposition zu den Anschauungen der Eltern gehen. - Trotzdem hatte ich ein sehr gutes Verhältnis zu meinen Eltern. Ich habe auch nie Streit zwischen ihnen beobachten können.

Vermutlich haben die Kriegserlebnisse und die Probleme der Nachkriegszeit meinen Vater zu einem sehr ernsten Mann werden lassen. Er war streng aber gerecht und bemühte sich sehr, meine Schwester und mich auf einen guten Lebensweg zu bringen. - Unsere Mutter war sehr lieb und verständnisvoll, so daß wir uns zu Hause wohlfühlen konnten.

Ab Frühjahr 1938 versuchte ich, die nationalsozialistische Weltanschauung zu verstehen und sie mir anzueignen. Es muß dabei berücksichtigt werden, daß wir auch in der Schule entsprechend bearbeitet wurden. Am besten begreifen das vielleicht junge Leute, die in der DDR aufgewachsen sind.

Wie verlief aber diese Jugend? - 1927 zogen wir von Adorf nach Zwickau um. Als ich im Frühjahr 1932 die Aufnahmeprüfung für die Oberrealschule ablegte, war ich der Beste in unserer Klasse. Diesen Vorsprung konnte ich bis zum Ende meiner Schullaufbahn halten und wurde in der Hitlerzeit ‘Klassenführer’.

Ab dem Frühjahr 1938 versuchte ich, wie gesagt, mir die nationalsozialistische Weltanschauung anzueignen, gleichzeitig als Klassenführer aber auch die Klassenkameraden davon zu überzeugen. Ich merkte nicht, daß vieles nur Phrasen waren, was ich nachplapperte. Für mich schien es real.

Meine Klassenkameraden standen damals - 2 Jahre vor dem Abitur - zum großen Teil sehr schlecht in der Schule. Die Reife war gefährdet. Ich glaubte, es als Klassenführer verhindern zu können und führte Arbeitsgemeinschaften ein, in denen ich meinen Kameraden den Stoff meist besser erklären konnte als die Lehrer; denn als selbst Lernender kannte ich die Schwierigkeiten besser. Ich habe mich also bemüht, nachmittags kostenlos Nachhilfeunterricht für die gesamte Klasse zu erteilen, um die Wissenslücken aufzufüllen.

Als Hitler im September 1939 den Krieg machte, (Er ist nicht, wie eine Naturkatastrophe 'ausgebrochen'.) war uns - z.B. durch den fingierten Überfall auf den Sender Gleiwitz - vorgegaukelt worden, daß wir uns gegen Angriffe wehren müßten. So war auch ich der Meinung, daß ich mich kriegsfreiwillig melden müsse und nicht erst bis Ostern 1940 - dem Zeitpunkt für das Abitur - warten dürfe, ob ich eingezogen würde. Gegen Polen hatte der sogenannte 'Blitzkrieg' stattgefunden. Deshalb dachten viele und auch ich, daß es in dem Tempo weitergehen müsse, wenn wir nur alle bereit wären uns einzusetzen. Meine Eltern waren verständlicherweise gegen eine freiwillige Meldung, stimmten aber dann doch zu.

Eine ganz wesentliche Erkenntnis habe ich aber in den ersten Kriegstagen gewonnen, die für mein späteres Leben entscheidend war: Der Krieg entwertet alles, was in Friedenszeiten von Bedeutung ist. Die Achtung vor dem Leben bleibt auf der Strecke.

Am 20. November 1939 wurde ich nun - 18½jährig - zum Heer - zu einer Kraftfahr-Ersatz-Abteilung - eingezogen. Ohne Prüfung erhielt ich als Schulabschluß den 'Reifevermerk', der zum Studium berechtigte. - Nach der Grundausbildung kam ich im Frühjahr 1940 als Motorrad-Melder zu einer Nachrichten-Spezialeinheit, die zunächst den französischen Heeresfunk und später den Agentenfunk zwischen Spionen in Frankreich und der Leitstelle in England überwachte.

In meiner Jugend hatte ich einige Jahre lang geglaubt, daß ich wohl nie heiraten würde, da ich meinte, meine Zeit ganz für andere Aufgaben zu benötigen. Ich habe auch danach nie Kontakt zu Frauen gesucht. Als im Frühjahr 1942 meine Mutter plötzlich an Krebs starb, wurde mir jedoch klar, welche Bedeutung eine Frau im Leben eines Mannes haben kann. Ich sehnte mich nach einer festen Freundschaft und fand während eines Studienurlaubs in Dresden eine Studentin, mit der ich viele gemeinsame Stunden verlebte, allerdings ohne mit ihr sexuelle Erfahrungen zu machen. Wir diskutierten und philosophierten viel über eine "ideale Welt". Diese Freundschaft bestand auch nach dem Kriege weiter.

Ein Anrecht auf einen Studienurlaub hatte ich im Winter 1942/43 nach dreijähriger Dienstzeit im Westen. Ich wollte Bauingenieurwesen studieren. Ein wesentlicher Gedanke war dabei, daß ich bei einem Bauwerk, z.B. einer Brücke, eine engere Beziehung zu dem Geschaffenen hätte, als bei einem Industrieartikel, der vielleicht vieltausendfach produziert wurde. - Der Studienurlaub wurde ab Anfang Dezember 1942 für vier Monate genehmigt.

Für mich war das eine relativ unbeschwerte Zeit, in der sich dagegen für die deutsche Ostarmee die erste große Niederlage anbahnte. Anfang Februar 1943 war die Kapitulation von Stalingrad. In Dresden hörten wir mit Entsetzen davon.

Nach dem Studienurlaub wurde ich zu einer Nachrichten-Spezialeinheit nach Flensburg versetzt. Dort hatte ich 1943/44 im Anschluß an eine Spezialausbildung im Dezimeter-Fernsprechwesen (Richtfunk) an einem R.O.B.-Lehrgang (Reserveoffiziersbewerber) teilgenommen. Während dieses Lehrgangs hatte ich am 10.2.44 Marie (Mieze) Paulsen, meine spätere Frau, kennengelernt. Zur Frontbewährung kam ich als Unteroffizier zunächst nach Südpolen und später in das damals sogenannte 'Kurland' (Litauen, Lettland, Estland). - Obwohl mir dort für einen gefährlichen Einsatz das EK II (Eisernes Kreuz 2. Klasse) verliehen wurde, bin ich später wegen meines zu ruhigen Wesens als ROB gestrichen worden. Ich war damals traurig darüber. Doch erwies sich diese Entscheidung als großes Glück für mich. Als 'Spezialist der Nachrichtentruppe' sollte ich nämlich nicht bei der Divisions-Nachrichten-Abteilung bleiben, sondern zu der Ersatzeinheit nach Flensburg zurückgeschickt werden. Es vergingen mehr als zwei Monate, bis ich den Marschbefehl in die Heimat gerade noch rechtzeitig bekam. Ich verließ in der Nacht vom 30.11. zum 1.12.44 auf einem einzeln fahrenden Frachtschiff Libau und erreichte am 1.12. Danzig-Neufahrwasser. - Es gab damals den 'Kurland-Brückenkopf', der für die deutschen Truppen keine Landverbindung mehr mit Deutschland hatte. Ich war aus dieser Gefahrenzone heraus und fuhr weiter in Richtung Flensburg. Meine Kameraden, die im Brückenkopf geblieben waren, wurden um Weihnachten in schwere Kämpfe verwickelt und gerieten dann in sowjetische Gefangenschaft.

Der Kommandeur der Ersatzeinheit in Flensburg sorgte offenbar dafür, daß die, welche von der Front zurückkamen, nicht wieder hinausgeschickt wurden. Es hieß später, daß er zum 'Widerstand' gehört habe.

So konnte ich mich Weihnachten 1944 verloben und am 24.2.45 heiraten. - Daß wir nicht erst 'nach dem Siege' sondern schon im Kriege geheiratet haben, ist hauptsächlich auf ein Gespräch mit meinem besten Schulfreund Herbert Cubasch zurückzuführen. Er vertrat die Auffassung, daß, wenn die Gefahr bestand, nicht mehr aus dem Kriege zurückzukehren, man wenigstens in einem Kinde weiterleben sollte. - Ich erlebte das Kriegsende und damit das Ende des 'Dritten Reiches' in ziemlicher Erschütterung in Flensburg. - Es hat noch recht lange gedauert, ehe ich begriffen habe, daß wir uns für eine falsche, für eine verbrecherische Sache eingesetzt haben.

Was hat nun bewirkt, daß sich meine Interessen so weit wandelten, daß ich nicht mehr Zielen nachhing, die weit über dem Erreichbaren lagen und in die falsche Richtung gingen? Wodurch wurde ich ausgeglichener?

Zunächst kam es darauf an, für die Familie zu sorgen. (Unser Sohn Volker wurde im Dezember 1945 geboren.) Ich fand eine Stelle als Hilfsarbeiter in einer Holzschuhfabrik. Ein Arbeitskollege, der auch das Abitur hatte, wollte, sobald es möglich wäre, Physik studieren. In den Gesprächen mit ihm kamen mir auch Zweifel, ob es mir später möglich sein würde, als Bauingenieur meine Ideen von naturnahem Bauen durchzusetzen. Es gab damals den amerikanischen 'Morgenthauplan', der vorsah, Deutschland zu einem 'Kartoffelacker' zu machen, auf dem die deutsche Bevölkerung auf niedrigstem Niveau ihr Leben fristen sollte. So reifte in mir der Entschluß, ebenfalls Physik zu studieren. Ich hatte auch schon in Dresden mehr Physik gehört, als es der Studienplan für das Bauingenieurwesen vorsah.

Im Sommer 1946 öffneten die Hochschulen wieder. Ich bewarb mich in Braunschweig, Göttingen und Hannover und wurde in Hannover angenommen.

Materiell war es eine sehr schwere Zeit. Ich wog damals 53 kg. Wir mußten mit einem Minimum an Geld auskommen. Doch damit wuchs wieder der Wille, sich nicht unterkriegen zu lassen, sich zu behaupten. In einem stark zerstörten Haus mußten wir selbst eine Wohnung ausbauen, um die Zuzugsgenehmigung nach Hannover zu bekommen. Wir mußten mit dem primitivsten Material (als Mauerkalk: gelöschter Kalk in Form von Karbidschlamm als Abfallprodukt einer Schweiß-Lehranstalt, Sand aus einem Luftschutzgraben, Ziegelsteine von Trümmern) und einfachstem Werkzeug auskommen. Die Ernährung war schlecht, der Hunger so groß, daß mir bei der schweren Arbeit häufig die Tränen kamen. Als Nichtraucher konnte ich wenigstens mein Zigarettenkontingent in Brot umtauschen. - Meine Frau, Mieze, wie sie seit frühester Jugend genannt wurde, half überall, wo sie nur konnte. So waren wir - trotz der äußeren Schwierigkeiten - in unserer jungen Ehe glücklich.

Mein Vater versuchte, uns so weit wie möglich zu helfen. Doch direkt konnte kein Geld geschickt werden. So schickte er z.B. einige Meßinstrumente, die ich hier verkaufen konnte. Einige Sachen von mir und einige Möbel von meiner zweiten Mutter bekamen wir auf abenteuerliche Weise aus der damaligen 'Sowjetzone'.

Im Sommer 1948 machte ich mein Vorexamen mit 'gut' und bekam danach für zwei Semester ein Stipendium (jeweils für 4 Monate). Im ersten Semester gab es 50,- DM, im zweiten 120,- DM monatlich. Später mußte ich ein Darlehen aufnehmen.

Im März 1950 starb mein Vater. Wir erbten einige Möbel und Haushaltsausrüstung, die unter großen Schwierigkeiten nach Hannover ausgeführt werden konnten. - Unter stärkstem finanziellen Druck konnte ich Ende 1950 mein Studium als Diplomphysiker abschließen. - Knapp 6 Monate war ich Leiter der Glockenproduktion in der Glockengießerei mit Turmuhrenfabrik Weule in Bockenem am Harz. Mein Gehalt betrug damals 350,-DM + 50,-DM Trennungsentschädigung.

Ab Juni 1951 war ich Assistent am Institut für Technik in Gartenbau und Landwirtschaft an der Gartenbau-Hochschule Hannover. Dort promovierte ich im Juli 1954 mit einer Untersuchung über die beste Gewächshausbauweise in Bezug auf den Lichteinfall.

1953 wurde unsere Tochter Ute geboren. Aber erst im Sommer 1954 konnten wir auch die 'Trümmerwohnung' verlassen und im Eichenplan eine 2½-Zimmer Wohnung bekommen. Auch finanziell ging es seit 1951 allmählich aufwärts. Allerdings mußte noch eine ziemliche Schuldenlast abgetragen werden.

Ende Juni 1957 lief die Assistentenstelle aus. Deshalb ging ich in die Industrie, nämlich in ein Werk, das Tonbandgeräte, Plattenspieler, Kaffeeautomaten usw. herstellte. Es war die Fa. Harting in Espelkamp-Mittwald. Glücklicherweise klappte es mit der Wohnungssuche nicht so recht, so daß ich nach 9 Monaten mein Glück wieder in Hannover versuchte. So kam ich in das Institut für Strahlenbiologie der Technischen Hochschule (später Universität) Hannover.

In den Jahren davor hatte ich schon angefangen, mich mit unserer politischen Vergangenheit zu beschäftigen. Ich las den 'Gelben Stern' und andere Bücher über die Judenverfolgung, bekam auch weitere Informationen über die Untaten des Nazireiches. So wurden die Zweifel an dem, wofür ich mich eingesetzt hatte, immer größer, und ich brach mit dieser Vergangenheit. - Auf zwei Dinge habe ich später immer wieder hingewiesen:

Ich habe nie meine Waffe auf einen Feind richten müssen. - Wenn ich aber als Führer eines Fernsprechtrupps eine Leitung flickte, über die dann kurze Zeit später der Feuerbefehl für die Artillerie gegeben wurde, war ich für dieses Kriegsgeschehen genauso mitverantwortlich wie die, die direkt geschossen haben. - Über die Frage, ob es Schuld war, gibt es verschiedene Auffassungen.

Wenn wir im Osten versuchten, die Front zu halten, um damit unsere Heimat vor dem Feind zu bewahren, sorgten wir gleichzeitig (ohne es zu wissen) dafür, daß die Verbrennungsöfen in Auschwitz weiter rauchen konnten.

Die entscheidende Richtungsänderung in meinem Leben war 1956. Ich bekam eine Broschüre von Prof. Werner Kliefoth mit dem Titel "Sind wir bedroht?"" in die Hand und las zum ersten Male gründlich Zahlen über die Gefahren der kriegerischen und friedlichen Anwendung der Kernenergie. Ich sagte mir: "Wer das weiß und schweigt, macht sich mitschuldig!" Das wollte ich nicht wieder werden. Damit begann mein Einsatz für eine bessere Zukunft, der schließlich so weit führte, daß ich den erlernten Beruf nur noch als Broterwerb ansah und das Engagement in meiner Freizeit als Lebensaufgabe. Das, was ich 1939 in den ersten Kriegswochen als Schüler erkannte, formulierte ich jetzt folgendermaßen: (z.B. in einer Tagebuchnotiz vom 14.9.63) Jedes wissenschaftliche Problem wird bedeutungslos, wenn wir das Problem des friedlichen Zusammenlebens der Menschheit nicht lösen können.

Ich richtete mein Leben neu aus, so daß ich später einmal - anläßlich der Ausstellung 'Die Verbrechen der Wehrmacht' - formulierten konnte:

"Wenn man von einem Gesamtgeschehen - hier also dem Zweiten Weltkrieg - nur einen Ausschnitt zeigt und zur Diskussion stellt, entsteht ein falsches Bild. Wir müssen den Menschen klar machen, daß jeder Krieg ein Verbrechen ist, daß es keinen 'gerechten Krieg' gibt. Die Konsequenz muß für jeden sein, sein möglichstes zu tun, um zukünftige Kriege zu verhindern. - Ich habe diesen Lernprozeß durchgemacht und die Konsequenzen daraus gezogen. Wer will mir da guten Gewissens vorhalten, daß ich in meiner Jugend die Dinge seinerzeit anders gesehen habe!"

Nach kleineren privaten Einsätzen wurde ich 1957 Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft und wurde bald stellvertretender Vorsitzender der Gruppe Hannover. Ich setzte mich als Beistand in Kriegsdienstverweigerer-Verfahren ein und engagierte mich im 'Ausschuß Kampf dem Atomtod'. Da bekam ich durch einen väterlichen Freund, Herrn Prof. Burkhardt, die Gelegenheit, in verschiedenen Kreisen einen Vortrag über die Atomwaffen und ihre Wirkungen zu halten. Es gelang, aus München einen 'Atompavillon' (mit Bildern aus Hiroshima) leihweise zu erhalten, der am Steintor aufgestellt wurde. Dort fanden sich unsere Freunde immer wieder ein und diskutierten mit Passanten (und auch mit Soldaten, die die sogenannte 'Psychologische Verteidigung' übten,) über die Gefahren eines Atomkrieges, der damals als Folge des Streites um Berlin durchaus möglich werden konnte.

Es fand sich ein Freundeskreis zusammen, der sich aktiv für eine friedliche Zukunft einsetzen wollte. Auf einem Wochenendseminar im Freundschaftsheim Bückeburg mit Prof. Nikolaus Koch erhielten wir den Anstoß zur Gründung einer sogenannten 'Freiwilligengruppe'. Bei über 40 Mitgliedern gingen die Vorstellungen über die Schwerpunktsetzung weit auseinander. Ich hielt wissenschaftliche Arbeit für notwendig. Um überhaupt erst einmal einen Anfang zu finden, schlug ich im September 1960 einen Volkshochschulkurs 'Grundlagenforschung und Lehre' mit dem Arbeitsthema "Umdenken als Voraussetzung für den Fortbestand der Menschheit" vor. Ich erarbeitete dazu ein Konzept. Der Kurs ist allerdings nicht zustande gekommen.

Durch Zufall wurde ich nämlich zunächst in eine andere Richtung gelenkt. Ein Freund, der Architekt Dieter Simon, hatte Anfang 1960 die Aufgabe übernommen, auch in Hannover eine Gruppe zusammenzubringen, die sich an dem von dem Lehrer Hans-Konrad Tempel geplanten Ostermarsch der Atomwaffengegner beteiligen wollte. Er bat mich eines Tages, ihn auf einer Ausschußsitzung zu vertreten. Da ich einiges Verhandlungsgeschick - auch mit Andersdenkenden - besaß, wurde ich bei der Vorbereitung unentbehrlich. Deshalb mußte ich die Arbeit für eine Friedensforschung zurückstellen. Ich gehörte dem Örtlichen, dem Regionalen und dem Zentralen Ausschuß an und war 1962 verantwortlicher Marschleiter für die Gruppe Hannover. 1963 bin ich dann nur noch als Redner beteiligt gewesen, weil ich mich nun endlich gründlich mit dem Problem der Friedensforschung beschäftigen wollte.

Nach langer Vorbereitung gründete ich mit einigen Freunden am 13. März 1964 die gemeinnützige 'Gesellschaft zur Förderung von Zukunfts- und Friedensforschung E.V. [GFZFF]' und wurde deren 1. Vorsitzender. Wir wollten also nicht selbst Forschung betreiben, sondern erst einmal die Voraussetzungen dafür schaffen. Das hieß, daß wir uns bemühen mußten, durch möglichst viele Mitglieder ausreichend Finanzen herbeizuschaffen, die dann in Forschungsprojekte gesteckt werden sollten. Auf Anregung eines Gründungsmitgliedes, Herrn Dr. Dieter Ebert, nahmen wir die Zukunftsforschung in die Zielsetzung mit auf. Der Zusammenhang ergab sich aus der Tatsache, daß es ohne die Lösung wesentlicher Zukunftsprobleme, wie z.B. der Bevölkerungsexplosion, keine friedliche Zukunft geben könne, aber auch umgekehrt ohne Frieden keine sinnvolle Zukunft möglich sei.

In vielen Vorträgen - meist vor kleineren Hörergruppen -, zu denen ich in der gesamten Bundesrepublik eingeladen wurde, bemühte ich mich, die Probleme so darzustellen, daß sie von jedermann ohne Spezialwissen verstanden werden konnten. Dabei setzten wir auch eine Tonbildschau zum Luftschutzproblem mit dem Titel "Jeder hat eine Chance?" ein. (Sie bezog sich auf eine äußerst primitive Broschüre der Bundesregierung mit dem Titel "Jeder hat eine Chance!") Sie hatte einen sehr großen Erfolg, führte aber nicht zu einem ausreichenden Anstieg der Mitgliederzahlen. - Im 'Kalten Krieg' fürchteten wohl viele, daß ihnen eine Kumpanei mit der DDR vorgeworfen werden könnte. Franz-Josef Strauß benützte den Begriff der 'nützlichen Idioten' für Menschen wie uns.

Da wir deshalb in den Medien kaum genügend Aufmerksamkeit fanden, gründeten wir 1965 eine Vierteljahreszeitschrift 'Zukunfts- und Friedensforschung - Information', für die ich viele Beiträge schrieb. Für meine 1968 veröffentlichten "Zwölf Thesen zur Zukunfts- und Friedensforschung" erhielt ich einen Preis der Freda-Wuesthoff-Stiftung, der gleichzeitig als "Anerkennung und Dank" für meine Bemühungen um die Friedensforschung gesehen werden sollte.

Einer unserer Mitglieder schrieb zu den in Kanada produzierten 'Peace Research Abstracts' - einer umfangreichen Sammlung von Literaturbesprechungen zum Problem 'Frieden' - ein Computer-Suchprogramm, das im Hochschul-Rechenzentrum in Hannover eingesetzt wurde. Damit boten wir weltweit einen Literatur-Beratungsdienst an. - Weltweite Kontakte hatten wir schon kurz nach der Gründung unserer Gesellschaft 1964 aufgenommen.

Nach dem Regierungswechsel 1969 verbesserten sich die Chancen für die Friedensforschung in Deutschland. Es wurde - auch mit unserer Mitwirkung - die 'Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V.' gegründet und auf Vorschlag des neuen Bundespräsidenten Gustav Heinemann zur Finanzierung von Forschungsvorhaben die 'Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung [DGFK]' ins Leben gerufen. Auch ich wurde in das 'Konzil der Friedensforscher' der DGFK berufen. Die DGFK finanzierte für 2½ Jahre unseren Literaturberatungsdienst, für den ich zuständig war. Auf diese Weise konnte ich von Juli 1971 bis Ende 1973 meine Arbeit für den Frieden hauptberuflich betreiben. Ab Januar 1974 wurde ich aus Mitteln der Stiftung Volkswagenwerk bezahlt und vom Institut für Politische Wissenschaft übernommen. Dort hatte ich allerdings auch noch andere Aufgaben zu bewältigen. Mit der Vollendung meines 63. Lebensjahres schied ich Ende Juni 1984 aus dem Dienst aus und konnte mich nun als Rentner ganz meiner selbst gewählten Aufgabe widmen.

Doch nun noch einmal zurück: Da es uns in der GFZFF nicht gelang, genügend Mitglieder zu bekommen (die Zahl lag nur wenig über 350), um damit Forschung finanzieren zu können, suchten wir nach Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation. Wir fusionierten im September 1976 mit zwei anderen Vereinen mit Sitz in Berlin und Hamburg (Zentrum Berlin für Zukunftsforschung [ZBZ] und Gesellschaft für Zukunftsfragen [GfZ]), um die finanzielle Basis zu verbreitern. In diesem neuen Verein, der sich ebenfalls 'Gesellschaft für Zukunftsfragen' [GZ] nannte und seinen Sitz in Berlin und Hannover hatte, war ich 2. Vorsitzender. Die Arbeit des ehemaligen Zentrums Berlin für Zukunftsforschung übernahm die von der GZ gegründete gemeinnützige GmbH 'Institut für Zukunftsforschung' [IFZ]. Für die Aufgaben unserer ehemaligen Gruppe gründeten wir die gemeinnützige Gesellschaft 'Kommunikationszentrum für Zukunfts- und Friedensforschung in Hannover GmbH' [ZFF]. An einem solchen Konzept hatten wir schon seit 1970 gearbeitet und 1971 dafür von der Freimaurerloge "Friedrich zum weißen Pferde" eine Jubiläumsspende von 10.000 DM erhalten. Das Kommunikationszentrum sollte folgende Aufgaben übernehmen:

1. Information und Dokumentation
2. Kommunikation (fachübergreifende Gespräche)
3. Öffentlichkeitsarbeit
4. technische Dienstleistungen bei Tagungen und Kongressen
5. Friedensforschung und Systemplanung

Ich war bis Mai 1980 ehrenamtlicher Geschäftsführer dieser Einrichtung.
Nach anfangs gutem Anlaufen gab es in Berlin große Finanzierungsschwierigkeiten und in der GZ zu große Differenzen in Bezug auf die Zielrichtung der Aktivitäten. Die Ausgangspositionen waren in den drei Gesellschaften: GZ, IfZ und GFZFF zu unterschiedlich. Prominenten Mitgliedern (vor allem aus dem Bereich der Wirtschaft) waren unsere Vorstellungen oft zu radikal. Ich fand für die Grundgedanken, für die wir 1964 angetreten waren, zu wenig Unterstützung. Wegen des 'Kalten Krieges' schien vielen in der Bundesrepublik schon das Wort 'Frieden' aus dem Wortschatz des Kommunismus zu kommen.

Es entstanden 1981 im Laufe des Jahres große Spannungen, vor allem in der Führungsspitze des IfZ. Das Institut finanzierte sich vorwiegend mit Auftragsforschung, die nun stagnierte. Diese Schwierigkeiten in Berlin schlugen auf den Vorstand der GZ durch. Eine Mitgliederversammlung fand auch nach der Abwahl des alten Vorstandes keine Lösung. Durch die Finanznot ging 1982 die GZ zusammen mit den beiden GmbHs zugrunde. Ich selbst war schon am 02.04.81 von meinem Vorstandsposten zurückgetreten, da ich mich nicht mehr in der Lage sah, Vorstandsbeschlüsse mitzutragen. Da ich jetzt 'Privatmann' war, konnte ich nun auch am 10.10.81 in Bonn an der großen Friedensdemonstration gegen die 'Nachrüstung' als 'Veteran der Ostermarschbewegung' teilnehmen.

Ich hatte mich jahrzehntelang im wesentlichen um Probleme des Managements kümmern müssen, sonst wäre nichts vorangekommen. Ich bin aber kein 'Managertyp'. Ich habe Schwierigkeiten, mehrere große Aufgaben parallel zu bewältigen. Durch diese Arbeit hatte ich viel zu wenig Zeit, um über inhaltliche Fragen intensiv nachdenken zu können. Anstöße durch Zeitschriftenartikel und Vorträge habe ich aber immer wieder gegeben. Als ich mich 1981 - veranlaßt durch Entwicklungen, die ich nicht steuern konnte - vom Management zurückzog, habe ich mir vorgenommen, die restliche Zeit meines Lebens noch etwas zu erarbeiten, das vielleicht - auch nach meinem Tode - den Menschen und für alles Leben auf der Erde noch nützlich sein könnte.


Leider mußte wegen meines Einsatzes für den Frieden und die Zukunft der Erde die Familie häufig zu kurz kommen. Das hat mich immer bedrückt. Eine Rechtfertigung fand ich in der Erkenntnis, daß das, was ich letztlich für alle Menschen tat, auch meiner Frau und meinen Kindern zugute kommen würde. - Glücklicherweise fanden wir trotzdem noch genügend Zeit für Herzlichkeit und Zärtlichkeit. Dabei war für uns auch ein wichtiger Grundsatz: "Du sollst nie im Zorn aus dem Hause gehen, sondern immer wenigstens einen ersten Schritt zur Versöhnung tun; denn Du weißt nie, ob Du den Partner noch einmal wiedersiehst!"

Ohne die Liebe meiner ersten Frau wäre ich nicht der ausgeglichene Mensch mit noch guter Tatkraft, der ich heute bin. Auch unser Sohn Volker und unsere Tochter Ute engagierten sich für Aufgaben, die in meiner Denkrichtung lagen. Volker beteiligte sich u.a. an den Ostermärschen. Er war Wehrdienstverweigerer und teilweise 'Kontoführer' in der GFZFF, später auch Schriftführer in der GZ. Ute beteiligte sich an Demonstrationen und engagierte sich im Umweltschutz.

1977 gründete ein junger Mann, Werner Mittelstaedt, in Gelsenkirchen die 'Gesellschaft für Zukunftsmodelle und Systemkritik e.V.' [GZS]. Er wandte sich damals auch an mich, um seine Pläne zu besprechen. Aus diesen Gesprächen entwickelte sich bald ein freundschaftliches Verhältnis zwischen uns. Ich wurde Ehrenmitglied der GZS und schrieb im Laufe der Jahre mehrere Beiträge für seine Zeitschrift 'Blickpunkt Zukunft'. Auf diese Weise hatte ich Gelegenheit, auch nach dem Niedergang der GZ, meine Gedanken und Vorstellungen zu veröffentlichen.

Am 23. September 1984 wurde mir in St. Louis (USA) der Internationale Lentz-Friedensforschungspreis überreicht. Das war also zufällig kurz nach der Beendigung meines Dienstverhältnisses an der Universität. Ich war der 7. Preisträger und der erste deutsche. Der Preis erinnert an den 'Vater der Friedensforschung', den amerikanischen Prof. Theo F. Lentz, den ich 1967 auf einer Konferenz in Schweden kennengelernt hatte. Mir wurde der Preis für meine Pionierarbeit auf dem Gebiet der Friedensforschung verliehen.

Meine Frau und ich benutzten die Gelegenheit, innerhalb eines Monats etwas von Kanada und den USA kennenzulernen. (In Dundas/Ontario wohnten meine Freunde Hanna und Alan Newcombe, mit denen ich den Literaturberatungsdienst in Gang gesetzt hatte.)


Nach dem Ausscheiden aus dem Hochschuldienst wollte ich in den mir verbleibenden Jahren möglichst viele Gedanken zu den großen Weltproblemen niederschreiben. Doch im Februar 1986 wurde ich durch einen Herzinfarkt gezwungen, bedeutend kürzer zu treten. Durch regelmäßiges Schwimmen konnte ich meinen Gesundheitszustand auf niedrigerem Niveau stabilisieren. Ein Schock war für mich, daß Anfang Juni 1988 unser 'Nord-Ost-Bad' abbrannte. So wurde ich - wie seinerzeit durch die 'Ostermärsche' - wieder von der geplanten Arbeit weggeführt; denn unsere Gruppe von regelmäßigen Schwimmbadnutzern wollte, daß das Bad wieder aufgebaut werden sollte, um viel längere Wege zu anderen Bädern zu vermeiden. Eine Bürgerinitiative wurde gegründet, und ich mußte erkennen, daß ich wohl - wegen meiner langjährigen Erfahrungen im Umgang mit Behörden - an ehesten in der Lage wäre, zusammen mit den anderen Freunden einen Wiederaufbau auch in der Zeit der schwierigen Finanzsituation durchzusetzen. Zunächst wollte ich nur beraten. Doch dann wurden fast alle wichtigen Schreiben von mir formuliert und auf meinem Computer erstellt. Am 15.02.92 konnte dann endlich das Bad wieder eröffnet werden.

Zwar habe ich mich dann auch im Zusammenhang mit dem ersten Golfkrieg engagiert, doch persönliche Sorgen forderten mich ganz. Meine Frau war an Brustkrebs erkrankt und wurde im Dezember 1991 operiert. Leider kam die Operation zu spät, und ich mußte zusehen, wie das Leben meiner lieben Frau sich unter großem Leiden dem Ende näherte. Da mußte ich mich ganz für sie einsetzen, versuchen ihr zurückzugeben, was sie mir in 48 Ehejahren an Liebe gegeben hatte. Innerhalb von 8 Monaten mußte ich mich auf das Unvermeidliche vorbereiten. Ich konnte Mieze dank der Unterstützung durch andere liebe Menschen zu Hause pflegen und mußte am 13.05.93 von ihr Abschied nehmen.

Nun, als Witwer, stürzte ich mich auf die Arbeit an einem Buch, das in Science-Fiktion-Verfremdung die Probleme der Menschheit aus einer größeren räumlichen, zeitlichen und ideologischen Perspektive darstellen sollte. Da meine Frau indirekt dazu beigetragen hatte, daß ich meinen Lebensweg gehen konnte, widmete ich ihr auch ein Kapitel in meinem Buch. Es erhielt die Überschrift 'Er nannte sie Kätzchen'. Mit diesem Kapitel konnte ich mir auch den Schmerz über ihren Tod von der Seele schreiben.

Glücklicherweise habe ich mich nicht in mein Arbeitszimmer verkrochen. Ich hatte immer noch Kontakt zu Verwandten, Freunden und Bekannten. Da hatte auch der 'Frühschwimmerkreis' in unserem Nord-Ost-Bad eine große Bedeutung; denn ich ging möglichst viermal wöchentlich zum Schwimmen. Im Frühjahr 1996 ist es mir gelungen, den Kontakt zu allen noch lebenden Klassenkameraden unserer Abschlußklasse von 1939 herzustellen und ein Treffen zu organisieren. - So konnte ich meine Arbeit in relativ ausgeglichener Verfassung fortführen.


Ich habe als Naturwissenschaftler eine andere Art, über die wesentlichen Menschheitsfragen nachzudenken. Für mich ist es keine Lösung, wenn sie nur für uns die gegenwärtige Situation verbessert, ohne daß damit auf Dauer und für die gesamte Welt eine Verbesserung eintritt. Die derzeitigen Lösungsversuche bringen häufig sogar eine Verschlechterung für später oder für andere Völker.

So habe ich auch eine andere Definition für 'Zukunftsforschung'. - Als wir 1964 unsere GFZFF gründeten, meinte das Finanzamt, daß wir eine Art Astrologie betreiben wollten, andere fragten bei uns nach den Entwicklungschancen für bestimmte Bedarfsartikel. - Ich erarbeitete dagegen folgende Definition für die Zukunftsforschung, wie ich sie sehe: Zukunftsforschung bedeutet für mich die Frage: "Was müssen wir heute tun - und noch viel stärker - was dürfen wir nicht tun, damit morgen noch eine Welt existiert, in der sinnvolles Leben möglich ist?"

Ich nenne meine Art der Betrachtung 'Weltallperspektive'. Die kann man meines Erachtens am besten vermitteln, wenn man den Menschen ihre Probleme aus der 'Perspektive von außen' deutlich macht. Der Betrachter von außen braucht auf keine Tabus Rücksicht zu nehmen. So schlüpfe ich gelegentlich in die Person eines 'Herrn vom anderen Stern'. (Den ersten Versuch einer Science-Fiction-Darstellung veröffentlichte ich 1973 in unserer Zeitschrift unter dem Pseudonym 'Günther Frisch'.) Mir kommt dabei zugute, daß ich während meines Studiums Astrophysik als Wahlfach belegt hatte. Aber schon während meiner Jugend hatte ich großes Interesse für die Weite des Weltalls.

Im 16. Jahrhundert mußten die Menschen durch Kopernikus lernen, daß die Erde und damit auch die Probleme der Menschheit nicht im Mittelpunkt des Alls stehen. Wir sprechen von der 'Kopernikanischen Wende'. In unserer Zeit wird die Menschheit eine 'Kopernikanische Wende in der Ethik' erreichen müssen, wenn sie die Welt nicht zugrunde richten will. Noch scheint das Verständnis dafür gering zu sein, obwohl schon sehr viel vom 'vernetzten Denken' (Frederic Vester) die Rede ist.


Meine Eltern, besonders aber mein Vater, haben mich zu einer kritischen Betrachtung aller Probleme erzogen. Es war nicht irgendetwas von vornherein gut, weil es 'alle taten'. Mein Vater, der u.a. Deutsch an einer Oberschule lehrte, arbeitete mit mir stundenlang an Hausaufsätzen, wobei er nie selbst formulierte, sondern mich immer nur durch Fragen dazu brachte, selbst bessere Lösungen für den Inhalt und den Stil zu finden. Das kam mir bei vielen Vorträgen, Zeitschriftenartikeln und jetzt auch bei der Arbeit für mein Buch zugute. - Während meines Physikstudiums war auch ein Satz meines Physiklehrers, Prof. Bartels, wichtig: "Für den Physiker ist nichts selbstverständlich!"

Als Jugendlicher glaubte ich, durch persönliche Macht die Dinge auf der Erde verbessern zu können. Später erkannte ich immer mehr die Macht der Liebe. Das wird in meinem Buch 'Unternehmen DELPHIN gescheitert - Es kommt jetzt auf uns alle an! - Notizen und Gespräche über Gegenwart und Zukunft unseres Planeten' sehr deutlich. - Ich war wohl schon als Jugendlicher kein 'Habenmensch', war immer Idealist, der helfen wollte, daß glückliche Menschen auf unserem Planeten leben sollten. Doch es hat Jahrzehnte gedauert, ehe es mir gelang, einige Zusammenhänge deutlich zu sehen und ganz klar herauszustellen. - Dabei habe ich erkannt, daß man viel reicher ist, wenn man die Gefühlswelt nicht zurückdrängt. Das geschieht meist, weil man meint 'männlich' sein zu müssen. Aus dieser Erkenntnis habe ich der 'Welt des Habens' die 'Antiwelt des Seins' gegenübergestellt.

Ich liebe die Menschen in aller Welt. Z.B. machte auf mich die Weltausstellung von Photographien mit dem Titel "The Family of Man" (1958 in Hannover gezeigt) einen sehr großen Eindruck. Ich liebe aber auch die übrige Lebewelt, ja den gesamten Planeten Erde. Vor allem leide ich mit denen, die unsere Hilfe dringend benötigen, aber so oft enttäuscht werden.

Ich erinnere mich an ein starkes Erlebnis, das ich im Oktober 1962 während der Kubakrise hatte. Meine Freunde und ich, die sich seit Jahren bemüht hatten, "daß so etwas nie wieder geschehen sollte", fühlten uns völlig hilflos im Räderwerk der Kriegsmaschinerie, bei deren Lauf die totale Vernichtung am Ende stehen würde. Deshalb fiel mir ein Stein vom Herzen, als - buchstäblich in letzter Minute - berichtet wurde, daß die sowjetischen Schiffe abdrehten.

Ich brauchte eine Ablenkung nach den 13 Tagen zunehmender Spannung und fuhr mit meiner Familie - es war ein schöner Oktobersonntag - zum Kino, um den Film "Windjammer" zu sehen. Von der Straßenbahn aus sah ich u.a. viele junge Menschen beim Spaziergang. Aber vor meinem geistigen Auge sah ich Bilder wie aus Hiroshima - die Menschen, wenn sie überhaupt noch gehen konnten, verbrannt in zerfetzten Kleidern. - Ich fragte mich, ob wohl die vielen Menschen auf den Straßen Hannovers sich überhaupt im klaren darüber waren, an welcher Katastrophe sie noch einmal vorbeigekommen sind. - In dieser Situation hätte ich sie alle umarmen mögen und nahm mir vor, noch mehr für sie alle zu tun.

In Vorträgen wies ich immer wieder darauf hin, daß wir Überlebende einer Katastrophe seien, die nicht stattgefunden hat; denn, wenn sie stattgefunden hätte, würde es keine Überlebenden geben. Es wäre uns eine Gnadenfrist gegeben worden, in der wir alles daran setzen müßten, daß eine solche Situation nie wieder eintritt.

Daß die mitmenschliche Liebe auch bei Jugendlichen eine große Rolle spielt, konnte ich z.B. auf dem Evangelischen Kirchentag 1983 in Hannover erleben. (Ich gehöre der Kirche nicht an.) Auf dem 'Markt der Möglichkeiten' empfand ich ganz besonders, daß man als älterer Erwachsener durchaus mit der Jugend sprechen kann und sie dankbar ist für Ratschläge und Erlebnisschilderungen, wenn sie den Eindruck bekommt, daß man ehrlich ist und die eigene Vergangenheit nicht zu beschönigen versucht. - In meinem Fall ist es die Tatsache, daß ich seit Frühjahr 1938, im Rahmen der Kenntnisse, die ich hatte, grundsätzlich mit dem Hitlerstaat einverstanden war und daß ich ab November 1939 bis zum Kriegsende als Kriegsfreiwilliger auch überzeugt war, "für die gute Sache unseres Volkes" zu kämpfen. Ich konnte doch zeigen, daß ich aus den Fehlern gelernt und die Konsequenzen gezogen habe. - Bei solchen Gesprächen mit Jugendgruppen war eine große beglückende Herzlichkeit zu spüren.

Der Verlust meiner Frau, mit der ich 48 Jahre meines Lebens geteilt habe, belastete mich sehr. Aber ich hatte, vor allem durch mein regelmäßiges Schwimmen, Freunde, die mich nicht vereinsamen ließen. - Und nun mußte ich doch auch mein Buch fertigstellen.

Im Frühjahr 1996 hatte ich den größten Teil vollendet. Nur das Schlußkapitel über das 'Haben' und das 'Sein' und die allumfassende Liebe machte mir noch Schwierigkeiten. Da lernte ich während eines Ferienaufenthaltes auf Korsika durch Zufall ein junges Ehepaar aus Süddeutschland kennen. Es entwickelte sich eine Freundschaft. - In den vielen Gesprächen, die wir führten, kamen mir die wesentlichen Gedanken zu dem Kapitel 'Herz und Verstand', so daß ich dann in wenigen Wochen das Manuskript zu dem Buch 'Unternehmen DELPHIN gescheitert - Es kommt jetzt auf uns alle an! - Notizen und Gespräche über Gegenwart und Zukunft unseres Planeten' zur Druckreife bringen konnte.

Es war dann aber sehr schwer, einen Verlag zu finden. (Wie ich später erfuhr, sind Rentner als Autoren nicht gefragt, weil die Wahrscheinlichkeit, daß sie noch mehrere Bücher liefern, gering ist. Mit dem ersten Buch wird meist noch kein Geschäft gemacht. Die Kosten für die Werbung sind zu hoch.) Schließlich fand ich dann einen 'Selbstkostenverlag', der das Buch in einer Auflage von 1000 Exemplaren herausbrachte. Die Kosten hatte ich zu tragen. Aber die Bücher waren im Buchhandel zu bekommen. Leider lief der Verkauf zunächst nur schleppend. Doch ist jetzt eine 2. Auflage bei 'Books on Demand' verfügbar. Es ist für mich wohltuend festzustellen, daß Themen, die heute als wesentlich dargestellt werden, auch schon in meinem Buch oder auch in viel älteren Artikeln von mir behandelt wurden.

Mit diesem Buch ist aber meine Meldung zu den Fragen unserer Zeit noch nicht beendet. Da ich es leid war, zu Weihnachten einige nichtssagende Worte auf vorgedruckten Karten als Gruß zu versenden, habe ich seit 1981 jährlich an ca. 200 - 300 Verwandte, Freunde und Bekannte 'Weihnachtsbriefe' versandt, die zum Nachdenken anregen sollen. Ebenso konnte ich mehrmals Beiträge in der Zeitschrift 'Blickpunkt Zukunft' veröffentlichen.

Im Sommer 1998 ergab sich wieder einmal durch Zufall eine glückliche Wendung in meinem Leben. Ich wollte mit einem Cousin, seiner Frau und meiner jüngsten Cousine in Urlaub an die südfranzösische Atlantikküste fahren. Doch das Ehepaar mußte einige Wochen vorher absagen. Da das Häuschen schon gemietet war, fuhr ich mit meiner Cousine allein. Aus der ungestörten Nähe entwickelte sich eine große Liebe. So beschlossen wir einige Monate später, daß wir den Rest unseres Lebens gemeinsam verbringen wollen und haben am 1. Dezember 1998 geheiratet. Wir sind sehr glücklich miteinander. Diese neue Liebe gibt mir Kraft und Geborgenheit, so daß ich mich für mein Alter noch relativ gesund fühle.


Einige Äußerungen anderer kann ich als Leuchtfeuer für meinen Lebensweg sehen:

Da war in meiner Jugend ein Wort von Walter Flex aus seinem Buch aus dem Ersten Weltkrieg 'Wanderer zwischen beiden Welten': "Es ist nicht damit getan, sittliche Forderungen aufzustellen, sondern man muß sie an sich vollstrecken, um ihnen Leben zu geben."

Mein Hochschullehrer in Physik, Prof. Bartels betonte: "Für den Physiker ist nichts selbstverständlich!"

Prof. Renard, mein Chef im Institut für Technik im Gartenbau (1951 - 1957) zitierte William Faulkner: "Wenige wissen, wie viel man wissen muß, um zu wissen, wie wenig man weiß."

Später hing ein Wort von mir selbst in meinem Arbeitszimmer: "Jede naturwissenschaftliche Erkenntnis und jeder technische Fortschritt sind verderblich, wenn nicht die Ehrfurcht vor dem Leben darübersteht."

In den späteren Jahren kam ein Ausspruch von Albert Einstein dazu: "Man kann die Probleme nicht mit den Denkweisen lösen, die zu ihnen geführt haben."

Im Weihnachtsbrief von 1999 schrieb ich:
"Es wird für jeden von uns einmal die Zeit kommen, in der wir erkennen, daß es kaum von Bedeutung ist, ob wir reich oder arm sind. Ja nicht einmal die Frage, ob wir gesund oder krank sind, spielt dann noch eine Rolle. Was werden wir uns dann fragen? - Gilt heute noch: "Macht Euch die Erde untertan!"? - Nein, die letzte Frage lautet: "Was hast Du getan als Dank dafür, daß Du auf diesem wunderschönen Planeten leben durftest? - Hast Du nur empfangen oder auch gegeben?" - Dann kann nichts mehr nachgeholt werden. Deshalb müssen wir schon heute daran denken. Es genügt aber nicht, mit einigen mehr oder weniger großen Spenden unser Gewissen zu erleichtern. Der Einsatz unserer ganzen Person ist gefordert. - Können wir aber etwas bringen, wenn wir vor all den negativen Ereignissen verzagen, klein beigeben? - Nein, wir müssen wissen, daß in allem positiven Handeln die Hoffnung des 'Schmetterlingseffektes' liegt. Und aus dieser Erkenntnis erwächst uns 'die Kühnheit, trotzdem Ja zu sagen.' " (ein Buchtitel von Albert Zeyer) [Der 'Schmetterlingseffekt' ist ein Begriff aus der Chaostheorie. - Daß winzige Ursachen große Wirkungen haben können, wird durch die Behauptung dargestellt, daß der Flügelschlag eines Schmetterlings in Mittelamerika einen Hurrikan in der Karibik auslösen könne.]

Im Sinne dieser und ähnlicher Gedanken habe ich versucht, mein Leben zu gestalten. - Ich glaube, daß, trotz mancher Irrtümer und Fehler, meine Bilanz positiv ist.


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